Aus der Chronik des Ortsvereins Seligenstadt | ||
WELTWIRTSCHAFTSKRISE UND ZERSTÖRUNG DER WEIMARER REPUBLIK 1929-1933 Am 17. November 1929 wurden die Gemeinderatswahlen abgehalten. Der
Wahlmodus ist aus der nachstehenden Bekanntmachung im „Seligenstädter
Anzeiger" vom 30. September ersichtlich: |
Für die SPD kandidierten:
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Das Ergebnis lautete dann wie folgt: | |||||||||||
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Für die Sozialdemokratische Partei
zogen von den zu wählenden 18 Gemeinderäten 4 (Blei, Kirchner, Seitner und
Hain) in das Stadtparlament ein. Das Zentrum erreichte 8, der Mittelstand 4
und die KPD 2 Mandate. Die Demokraten gingen leer aus. Bei der am selben Tag stattgefundenen Kreistagswahl kamen drei Seligenstädter Politiker in den Kreistag. Es waren die Beigeordneten Karl Nover, Rudolf Katz und Josef Seitner. |
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Der 1928 gewählte Reichstag wurde am
18. Juli 1930 von Reichspräsident Heinrich Brüning wieder aufgelöst.
Ursache: Eine Reichstagsmehrheit forderte die Aufhebung einiger erlassener
Notverordnungen. Diese politische Krise entstand weitgehend durch die ein
Jahr zuvor ausgelöste Weltwirtschaftskrise. Die katastrophalen Folgen sind
ja bekannt. Unter diesen Umständen mußte am 14. September 1930 der neue
Reichstag gewählt werden. Wie die Anzeige im „Seligenstädter Anzeiger" vom 11. September 1930 zeigt, wehrten sich Seligenstadts Sozialdemokraten gegen die Gefahr von links und rechts. Wie das Ergebnis der Wahl im Deutschen Reich dann beweisen sollte, waren auch NSDAP (18,2%) und KPD (13,1%) die Gewinner der Reichstagswahl. Seligenstadt selbst blieb nach wie vor eine Hochburg des Zentrums, aber
die Kommunisten (Heinrich Galm) waren zweitstärkste Partei geworden. Ihr
Stimmenanteil übertraf sogar klar die SPD, die hier ohnehin in einer Krise
steckte.
Bei dieser Vielfalt der Parteienlandschaft war es verwunderlich, dass im Verhältnis zu früheren Wahlen mit weniger Parteien nur 58 Stimmen ungültig waren. Noch war die NSDAP relativ schwach, das sollte sich aber bald ändern. Das Jahr 1931 begann für Seligenstadt mit einer kleinen Überraschung! Längere Zeit ahnte die interessierte Bevölkerung etwas, genaueres wußten aber nur eingeweihte. Am 29. Januar kam selbst der „Seligenstädter Anzeiger" nicht mehr herum, der Öffentlichkeit die Ver- fehlungen des Bürgermeisters David Singer, wenn auch in abgeschwächter und verharmlosender Form, kundzutun. Dazu schreibt das Zentrumsblatt: „In der Prozeßsache gegen Herrn Bürgermeister Singer haben wir es bisher unterlassen zu berichten, da Berufung eingereicht war und infolgedessen das Offenbacher Urteil noch keine Rechtskraft erlangt hatte. Nunmehr war am letzten Dienstag Termin bei der großen Strafkammer in Darmstadt unter dem Vorsitz des Herrn Landgerichtsdirektors Meyer. In dieser Verhandlung wurde Bürgermeister Singer wegen falscher Beurkundung zu einer Geldstrafe von 100 Reichsmark verurteilt und für alle übrigen ihm zur Last gelegten Delikte freigesprochen. Der Vorsitzende wies in seiner Urteilsbegründung darauf hin, daß die Verhandlung nicht klar ergeben habe ob sowohl bei den Telephongesprächen als auch bei den angeblich zu wenig an die Gemeindekasse abgeführten Vergnügungssteuern betrügerische Absicht Singers vorliege, zumal der Angeklagte bisher unbescholten dastehe und ihm von seiner vorgesetzten Behörde das beste Zeugnis ausgestellt wurde. Aus diesem Anlaß müsse Freisprechung erfolgen. Bei den Telephongesprächen handelte es sich, nach Feststellung des Vorsitzenden, um etwa 46 Mark". Dass dem Zentrum nach dieser Verfehlung seines Bürgermeisters nicht wohl gewesen ist, denn vorbelastet war er nun, zeigt die Tatsache, daß er bei den ausstehenden Bürgermeisterwahlen nicht mehr zur Kandidatur antrat. Am 6. März 1931 trat bei künftigen Sitzungen des Gemeinderates eine Neuerung ein: Da die letzten öffentlichen Sitzungen ständig überfüllt waren, mußten Einlaßkarten ausgegeben werden. Jedem Gemeindevertreter standen drei Karten zur Verfügung, so dass bei voller Auslastung 63 Personen im Zuhörersaal Platz hatten. Die Bürger mußten sich also rechtzeitig bei einem Gemeinderat oder Beigeordneten eine Platzkarte besorgen. Bei der zahlenmäßigen Zusammensetzung des Parlamentes war wohl ersichtlich, wer in Zukunft wohl Einlaßkarten erhalten würde. Eine politische Kundgebung fand am Sonntag, den 26. April, im „Schützenhof" statt. Der Berliner Reichstagsabgeordnete Reißner sprach zum Thema: „Deutschlands Not und ihre Ursachen - Faschismus oder Demokratie". Nicht nur Sozialdemokraten, Gewerkschaftsmitglieder und „linksstehende Sympathisanten" waren unter den rund 200 Zuhörern. Die Veranstaltung war schließlich eine gelungene Demonstration gegen den Faschismus. |
Wie aus der amtlichen Bekanntmachung vom 10. Juni 1931 im „Seligenstädter Anzeiger" ersichtlich ist, wird die Bürgermeisterwahl am 12. Juli durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt, dies soll hier noch erwähnt werden, legte der sozialdemokratische Gemeinderat Josef Seitner sein Mandat nieder. | ||
An seine Stelle rückte
Martin Grimming nach, sein Parteifreund. Zwei Kandidaten bewarben sich um
das Amt des Seligenstädter Stadtoberhauptes: Kaufmann Jakob Nover von der Reichspartei des Deutschen Mittelstandes (vom überparteilichen Wahlausschuß Seligenstadt nominiert) und der Schlosser Johann Wolf II von der Kommunistischen Partei. Wie aus dem nachstehenden Aufruf der SPD zu ersehen ist, stellten die Sozialdemokraten keinen eigenen Kandidaten auf. Sie erinnerten ihre Wähler aber daran, den Kandidaten der Kommunisten Johann Wolf II nicht zu wählen. Der Grund ist im Aufruf nachlesbar. Indirekt unterstützten Seligenstadts Sozialdemokraten also Jakob Karl Nover, der dann auch überlegen siegte, wie das folgende Resultat beweist: |
Jakob Karl Nover 2 509
Stimmen Johann Wolf II 441 Stimmen Bei dieser Wahl haben von 3 463 Wahlberechtigten 3 045 (88%) abgestimmt.
Ungültig waren 95 Stimmen. |
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Eine weitere politische
Entscheidung stand am 20. September auf dem Programm: Der 1. Beigeordnete
mußte gewählt werden. Folgende Kandidaten waren nominiert: Engelbert Altmann (Zentrum), bisher 2. Beigeordneter Johann Höfling (Mittelstandspartei), Gemeinderat Johann Wolf II (KPD), Gemeinderat |
Eine Einigung zwischen Zentrum und
Mittelstandspartei zur Person des 2. Beigeordneten scheiterte. Für dieses
Amt stellte die SPD Jean Nierbauer auf, wie aus dem Inserat zu ersehen ist. Am Sonntag, den 20. September, wurde schließlich erwartungsgemäß der
seitherige 2. Beigeordnete Engelbert Altmann für neun Jahre zum 1.
Beigeordneten gewählt. Das Ergebnis im einzelnen lautete:
Insgesamt wurden 2 622 Stimmen abgegeben, 88 waren ungültig. Eine öffentliche Wählerversammlung, einberufen vom sozialdemokratischen
Wahlausschuß, fand am Sonntag, den 2. Oktober 1931, im Saalbau „Zur Stadt
Offenbach" (Inhaber war der Sozialdemokrat Karl Burkhard) statt. Neben einer
Wahlrede zum 2. Beigeordneten (Referent war der Kandidat Jean Nierbauer
selbst) sprach der Neu-Isenburger Bürgermeister Wilhelm Arnoul zum Thema:
„Deutschlands Wirtschafts- und Finanzkrise und die Notlage der Gemeinden;
kann uns der Links- und Rechtsradikalismus aus der Wirtschaftskatastrophe
herausführen?" Die Kandidaten zur Wahl für das Amt des 2. Beigeordneten am 3. Oktober
erzielten folgendes Ergebnis:
Damit ist Brauneis zum 2. Beigeordneten von Seligenstadt gewählt worden. Die Wahl zum Hessischen Landtag am 15. November 1931 zeigte deutlich,
dass die Bewegung, die die Wählermassen ergriffen hatte und die Lawine des
politischen Radikalismus niedergehen ließ, zunehmend auch die Wähler des
Kreises Offenbach mitriß. Zu der schon jahrelang anhaltenden Radikalisierung
der Linken, gesellte sich nun die von der NSDAP organisierte Radikalisierung
der Rechten. Hitlers Partei gewann an diesem Tag 22,4% der Stimmen im
Kreisgebiet. In Offenbach erreichte sie eine relative, in Buchschlag sogar
die absolute Mehrheit. Für Hessen ergab sich nachstehendes Ergebnis:
Die für den Kreis Offenbach und das Land Hessen eingetretene Radikalisierung fand in Seligenstadt nicht statt. Das Ergebnis:
Wahlberechtigt waren 3 585 Bürger, 2 968 Stimmen wurden abgegeben.
Souveräner Sieger war wie erwartet das Zentrum, aber die Sozialdemokraten
wurden sogar von den Kommunisten geschlagen. Am 3. Januar 1932 referierte Eduard Blei über die wichtigsten am 8. Dezember des Vorjahres erlassenen Notverordnungen. Er befürchtete zu Recht, dass die Preissenkungen nicht mit dem Reallohn (Gehaltskürzungen) vereinbar sind. Automatisch verkümmert dadurch die Sozialversicherung. Er erläuterte diese Politik der Regierung Brüning und folgerte, dass die Wirtschaftskrise nun noch mehr auf den Schultern der Arbeiter lastet. Man beschloß dann, wegen der ständigen Brotpreiserhöhung beim Bürgermeister vorstellig zu werden und nach Abhilfen zu suchen. Am 7. Januar fand dann eine Generalversammlung der SPD statt. Der Vorsitzende Martin Grimming erstattete den Geschäftsbericht von 1931 und stellte dazu fest, dass es ein „Kampfjahr" gewesen ist, in dem sich die Erwartungen der hiesigen Organisation nicht alle erfüllt hatten. Auch waren durch die Wahlen in der Vergangenheit die Finanzen stark reduziert worden, wobei in der Kasse ein kleines Defizit entstanden war. Der seitherige bewährte Vorstand wurde wiedergewählt; ferner durch Adam Schließmann und Edmund Lang ergänzt. Eine betrübliche Nachricht erreichte Seligenstadt in der zweiten Februarwoche: Am 12. Februar verstarb in Leipzig der Ex-Bürgermeister David Singer. Er war 28 Jahre, ab 1903, Stadtoberhaupt, 1911 bis 1917 im Landtag Abgeordneter des Zentrums. Ein verdienter Politiker seiner Partei, der stets mit der Geschichte der Stadt verbunden bleiben wird. |