Sozialdemokraten im Ostkreis feiern Jubiläum ihrer Partei – Historischer Vortrag und Podiumsdiskussion
Mehrere 100.000 Menschen haben am Wochenende in Berlin mit der SPD ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert – im Seligenstädter Riesensaal, wo am Sonntag die SPD des Ostkreises Offenbach mit einer Matinee an die Parteigründung vor anderthalb Jahrhunderten erinnerte, war das Publikum zwar weniger zahlreich, aber ebenso festlich gestimmt. Eingeladen hatten die Ortsvereine Seligenstadt, Rodgau, Rödermark, Hainburg und Mainhausen. Für den gelungenen musikalischen Rahmen sorgte die Jason Blue Band.
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Einigkeit macht stark“ – so steht es auf der Fahne, die Breslauer Arbeiter anlässlich der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863 anfertigten. „Dieses rote Stück Stoff erzählt uns sehr viel über die wechselvolle Geschichte der SPD“, sagte Dr. Christian Krell in seinem Vortrag zur Geschichte der SPD. Schon wenige Jahre nach 1863 – mittlerweile hatte sich Lassalles Arbeiter verein mit August Bebels und Wilhelm Liebknechts Sozialdemokratisch er Deutscher Arbeiterpartei zur SPD zusammengeschlossen – musste die Fahne versteckt werden: In London überdauerte sie die von 1878 bis 1890 geltenden Sozialistengesetze, durch die deutsche Sozialdemokraten zum ersten Mal der staatlichen Verfolgung ausgesetzt waren. In den Nazi-Jahren wurde die Fahne mit dem hohen Symbolwert an verschiedenen Orten versteckt, 1945 in Breslau wieder ausgegraben, 1946 auf abenteuerlichen Wegen in den Westen gebracht, wo sie 1952 auf dem Sarg Kurt Schumachers lag, dem ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg.
Historiker Krell, Leiter der Akademie für Soziale Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, beschrieb ausführlich das Erstarken und Wirken der SPD in den vergangenen 150 Jahren. Die Liste der Erfolge ist lang: Allgemeines Wahlrecht, Sozialversicherungen, Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung, betriebliche Demokratie, wirtschaftlicher Aufschwung, bescheidener Wohlstand für Millionen Familien, Bildungschancen für bislang Unterprivilegierte, Ostverträge, Friedenspolitik und Vieles mehr. Krell sparte in seinem Vortrag aber auch nicht die Widersprüche, Auseinandersetzungen und schwierigen Phasen der SPD-Geschichte aus – etwa den „Burgfrieden“ mit den Eliten des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg, der später zur Abspaltung der KPD führte, oder den verzweifelten und letztlich vergeblichen Kampf der SPD in der Weimarer Republik um politische Stabilität und Demokratie.
Auch in dunkelsten Zeiten, so Krell, habe die SPD jedoch niemals ihre Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit preisgegeben. Andere Parteien könnten das nicht von sich sagen. Vielleicht am eindrucksvollsten steht für diese sozialdemokratische Haltung Otto Wels, der im März 1933 im Reichstag das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz der Nazis mit den Worten begründete: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, unsere Ehre nicht.“
Existenzielle Bedrohungen dieser Art sind heute Geschichte, und viele Forderungen der Sozialdemokratie wurden in den vergangenen 150 Jahren erfüllt. Dennoch wäre es absurd, von einem Ende der sozialdemokratischen Epoche zu reden. Auch heute bleibt für Sozialdemokraten eine Menge zu tun. Das zeigte die Podiumsdiskussion, an der zwei Generationen Sozialdemokraten teilnahmen.
Ingeborg Fischer (Mühlheim), Manfred Kreis (Seligenstadt) und Karl-Heinz Stier (Mühlheim), alle mehr als 40 Jahre Mitglied und verdiente Kommunalpolitiker, beschrieben ihre Beweggründe, vor Jahrzehnten in die SPD einzutreten. Dabei spielten familiäre Prägungen, aber auch die heftigen politischen Auseinandersetzungen in den sechziger und siebziger Jahren eine große Rolle.
Haben die Parteien und speziell die SPD mittlerweile ihre Attraktivität und Bindungskraft verloren? Jens Zimmermann und Ralf Kunert stehen für das Gegenteil. Der Groß-Umstädter Zimmermann (31) hat schon „als dreijähriger Knirps dem Vater beim Plakatieren geholfen“. Sein SPD-Eintritt vor zwölf Jahren sei dann eine Reaktion auf die Politik von Roland Koch in Hessen gewesen. Jetzt kandidiert Zimmermann für den Bundestag. Politik, sagt er, müsse immer das Ziel haben, „das Leben der Menschen vor Ort zu verbessern“. Für Politiker bedeute das: „Kein Problem ist zu klein, um sich ihm anzunehmen.“
Der Rodgauer Kunert (40) – „schon immer Soziademokrat und seit 2005 auch mit Parteibuch“ – sagte zu seiner Motivation: „Die soziale Frage ist doch nicht erledigt! Ich habe am eigenen Leib erfahren, was Bildungsgerechtigkeit und ihr Fehlen bedeutet.“ Für den Landtag kandidiert Kunert, weil die Politik gerade in Hessen nach den Jahren mit Koch und Bouffier „meilenweit weg ist von sozialer Gerechtigkeit“. Kunert: „Das will ich ändern.“